Hier sollen immer wieder mal Kritiken, Rezensionen, Nachrufe etc. erscheinen
Last Fish in Vienna
Manfred, Nancy Christian und ich sind an einem windigen Oktober Abend (18.10.2024) vor der Arena in Wien verabredet. Spontan ist es immer am schönsten.
Warum auch immer dachte ich noch nicht vor langer Zeit, was wohl aus dem „alten“ Marillion Sänger geworden ist, wissend dass er vor oder während Covid (!) sein Abschiedsalbum „Weltschmerz“ angekündigt hatte.
Und dann swiped mir dieser Kurier Artikel auf das Smartphone und ich denke, wenn im Kurier ein (nur mehr wenigen) bekannter Künstler interviewt wird, ist oder kommt er meistens in die Stadt.
Und weil es, nach seiner Aussage das letzte Mal Vienna sein soll möchte ich/möchten wir dabei sein.
Die Arena ist stimmig für so einen Anlass und für mein Dafürhalten gut besucht. „Fishheads“ werden die Fans liebevoll genannt – meist bierbäuchig, bebrillt und weißhaarig mit allerlei um die Leibensmitte spannende Fan-Leiberln. Auch weibliche Fishheads werden gesichtet. Fish und Marillion haben es in der Tat geschafft, durch intensives Touren und Konzert abseits der Gigantomanie einen besonderen Draht zu Ihren Fans zu haben. Ich muss sagen, ich war überrascht wie voll die Arena anlässlich eines Mannes war, der (mit Marillion) genau einen Welthit und ein zugegebenermaßen legendäres Album dazu im Jahre 1985 hatte.
20.30. La gazza Ladra von Rossini erklingt – wie schon all die vielen Jahre davor. Ich habe Marillion nie mit Fish als Sänger live erlebt. Auch seine Solokarriere ging völlig an mir vorüber - aber ich habe fest vor, mich einfach positiv überraschen zu lassen.
Und die ersten Songs überzeugen schon – ich recherchiere „Credo“ und „Big Wedge“ aus der Anfangszeit seiner Solokarriere.
Die Band ist exzellent gemischt – und spielt sehr songdienlich. Keiner sticht heraus, alle sind gut aufeinander abgestimmt:
Robin Boult – Electric/Acoustic Guitars
Steve Vantsis – Bass Guitars; Keyboards; Backing Vocals
Mickey Simmonds – Keyboards
Gavin Griffiths – Drums
Elisabeth Troy Antwi - Backing Vocals
Fish nutzt sein Abschiedskonzert geschickt um lange „Geschichten“ über dies und das vorzutragen. Das entspannt Ihn merklich, aber er ist ein sehr begabter und humoristischer Erzähler – „I‘m a writer who can sing, and not a Singer who can write“ wird er später sagen und ich werde mir das lange merken!
Fish hat 1996 in Sarajevo für die Soldaten gesungen und erzählt, dass sein Großvater exakt dort im ersten Weltkrieg („because he was a miner“) Schützengräben an der Frontlinie ausgehoben hatte. Mein Großvater verlor an der Isonzo Front mit 17 Jahren sein rechtes Bein.
Es folgt eine Antikriegsoper und viel tagesaktueller Pathos.
Das Konzert erreicht seinen „Ich muss mal schnell“ bzw. „Möchte wer was von der Bar?“ Moment.
Marillion erklingt (nach meinem Wissen) exakt einmal im Set – ein leider bis zur Unkenntlichkeit tiefer transponiertes „Slainthe Mhath“.
Fish präsentiert sehr persönliche Songs, die merklich textlichen Tiefgang haben. Er ist nicht mehr der alte Shouter sondern befindet sich schon in der Joe Cocker Phase die alle älteren Rockstars irgendwann einholt. Töne die nicht mehr ganz erreicht werden, werden durch extatisches Zucken und Mikrofon wegreißen substituiert.
Aber das ist noch weit weg von einer Karikatur – Fish (oder Derk William Dick) ist mit 66 eigentlich im besten Rockstar-Alter, hat es aber vorgezogen sein Leben im Musik-Business zu beenden. Eben bevor es vielleicht peinlich wird.
Optisch und auch stimmlich könnte man Ihn heute (aus 30 Meter Entfernung) schwer von Peter Gabriel oder Phil Collins (als er noch singen konnte) unterscheiden. Er hätte für nicht weniger der einzige respektable und akzeptierte dritte Sänger bei Genesis werden können. Meines Wissens nach wurde er auch gefragt. Marillion hat mit Ian Mosley den ehemaligen Drummer von Steve Hackett in Ihren Reihen und Fish hat Musik mit Tony Banks aufgenommen (An „Another murder of the day“ habe ich mich einst selbst versucht).
Aber wären die 3 heute in einem Raum – man müsste jenen bei Seite nehmen der nicht um die 2 Meter groß ist, oder zusammengesunken auf einem Stuhl hockt – das wäre dann wohl Peter Gabriel.
Der Writer der singen kann (aber meines Wissens nach kein Instrument spielt) hat auch Solo bemerkenswertes produziert. Ich kann nicht sagen, dass mir irgendwas nicht gefallen hätte.
Selbstredend wird die Band wieder in die Zugabe geklatscht – denn es fehlen uns sehr wohl einige Marillion Hadern….
Leider wieder bis zur Unkenntlichkeit….auch hier eine Parallele zu Phil Collins.
Ich freue mich wieder auf Marillion (mit Steve Hogarth), aber nach 35 Jahre Solokarriere muss Fish auch nicht mehr genau das bringen können, wovon er sich ja 1988 los gesagt hat. Es gibt noch 2 letzte Zugaben – und einen kleinen Tanz und folkiges. Fish hat gesagt „I’m going home where I come from – to the Highlands“.
Es war ein unverkennbarer schottischer Oktoberabend – This ist the last song I will ever sing in Vienna! Klingt etwas unhöflich, war aber durchaus sentimental zu verstehen.
War ein schöner Abend für nicht mal 50€ und 2 Stunden guter, tiefgehender, charismatischer handgemachter (progressiv angehauchter) Rockmusik.
Ich wünsche eine schöne Pension in den Highlands – Fish, Du hast es Dir verdient! Die Karriere kometenhaft begonnen - als Zeitgeist fremdelnder dennoch in den 80er Jahren reüssiert um danach „downgesized“ langsam bis zu „Weltschmerz“ zu reifen!