Hier sollen immer wieder mal Kritiken, Rezensionen, Nachrufe etc. erscheinen
Genesis (Genesis 1983)
Am 12.Oktober 1983 veröffentlichte Genesis das gleichbetitelte Album. Es sollte der endgültige kommerzielle Durchbruch werden. Hardcorefans wandten sich vielleicht damals ab, aber unzählige neue (auch ich) kamen dazu.
Phil Collins war auf einmal ein Star und riss seine alte Band förmlich mit. Sein weltberühmter gated reverb Drum Sound (der in Wahrheit von High Padgham und Peter Gabriel mit“erfunden“ wurde…) definierte fortan, wie ein Rockschlagzeug zu klingen hatte. Die Farm-Studios (Genesis‘ eigenes Studio-Refugium) waren fertig geworden, die Zeit war also reif für ein wegweisendes Album!
Für mich begann es irgendwann Ende 1983 als Peter Cornelius (!) in der längst vergessenen Ö3 „Teestunde“ (also gemütliches Nachmittagsradio) ehrfurchtsvoll die neue Genesis Single „That’s all“ vorstellte. Ob danach Mama kam, oder Mama schon da war weiß ich nicht mehr (Mutter war doch damals immer für mich da!).
In meiner Erinnerung definieren beide Songs (die unterschiedlicher nicht sein könnten) für mich den Jahreswechel 83/84.
Was ich damals noch nicht wusste, dass Genesis 1983/84 eine Nordamerikatournee spielten und ich ein paar Jahre später Tony Banks bei seinem dort gespielten Old Medley rund um „In the Cage“ verfallen würde.
Ein paar Konzerte in Birmingham waren die einzige (!) Gelegenheit, sie damals in Europa zu sehen. Irgendwann in dieser Zeit verließ Collins sein Live-Schlagzeug um geschwind in Amerika seine Ballade „Against all odds“ ins Mikrofon zu klagen. Einfach alles, was er damals machte wurde zu Geld/Gold. Der Sänger/Schlagzeuger einer „eigentlich unmodern werden solltender“ progressive Rockband war nebenbei Produzent, Hit-Komponist, Sessionschlagzeuger, Schmusesänger usw.
Aber der Reihe nach:
Mama
Wer kennt ihn nicht, den stampfenden Drummachine Rhythmus und das „gruselige“ Keyboardthema. Improvisieren um ein Pattern und um einen Akkord – so könnte man es etwas spöttisch nennen. Dann noch den berühmten „In the air tonight“ Schlagzeug Einsatz immitieren (der ebenso gewaltig gelang) – Powerchords -fertig war der erste Hit – oder eben der zweite.
„Dramatik“ hatte seitdem in der Rockmusik ein neues Urmeter – Der 2-manualige Prophet10 möglicherweise seinen „Signature-Song“!
That’s all
Im Video sieht man die 3 Clochards Tony, Mike und Phil, einem Jazz Trio gleich auf klassischem Instrumentarium performen. Dass man zu „I could leave, but I won’t go“ auch gut „Follow me, Follow you“ singen konnte zeigten Genesis dann bei der 92er Tour.
Home by the sea – Second Home by the Sea
Das Muster setzte sich bis „We can’t dance“ fort: Ein „langes“ für die Fans von vorgestern. Das durfte Peter Cornelius natürlich nicht vorstellen. Ich hörte es gut 3 Jahre später das erste Mal im Radio, nicht ohne spontan die Aufnahmetaste zu drücken. Schon damals irrlichterte der Moderator und kündigte einen Song von Phil Collins an.
Nein-Nein-Nein – Es mag in den 80ern Ähnlichkeiten und Überschneidungen geben, aber bitte doch nicht hier!
Ein Stück für die Livebühne – ich muss gestehen es war mir immer etwas langweilig. Die „Rückkehr“ von Home by the sea 2 in das Hauptmotiv (Rutherford Solo) hat aber etwas sehr schönes!
Illegal Alien
Die 3 Clauchards haben sich als mexikanische Einwanderer verkleidet – das Studiosetting (Mama, That’s all, Illegal Alien) bleibt für heutige Verhältnisse erschreckend gleich. Und das wo nebenbei gerade auch die MTV- sprich Musikvideorevolution startete!
Genesis zeigen, was sie auch immer waren: Eine Blödeltruppe, die dank Ihres Oberblödlers Phil Collins tatsächlich witzig sein kann. Dennoch verriss Sie meist die Kritik, Musiker verehrten und verehren sie – für Ihren „Humor“ wurden sie (leider) nie beachtet.
Der Refrain verführt zum mit tanzen und mitsingen. Die Strophe macht einem das lockere Mitspielen gleich harmonisch wieder ungemein schwerer. Auch das ist (Spiel)Witz!
In einer sehenswerten Doku (die Phil Collins Großteils mit seiner Videokamera während der Studioarbeit selbst filmte) sieht man, wie der schwere Emulator Sampler ins Nachbarhaus getragen wird, nur um dort anzurufen und das Telefon zu sampeln. Jenes Telefon hört man dann in der Mitte dieses Songs! – So einfach und doch schon wegweisend war Studiotechnik damals!
Der Übergang von der Bridge zurück zum Refrain ist eines der vielen Highlights der Platte.
Takin it all too hard
Hier kommt der Schmusesänger – Es klingt sehr nach Genesis, aber Collins hat sich erfolgreich gegen Banks‘ Akkordreichtum durchgesetzt. Nett – aber nichts weltbewegendes.
Just a Job to do
Ich bilde mir ein dieses Thema diente irgendeiner englischen Serie damals als Kennmelodie. Hier sollte man sich genauer mit Bass und Gitarre (seit 1978 Personalunion) befassen – es fetzt und groovt. Es hat eindeutig etwas von einer Krimi-Kennmelodie (Wer weiß vielleicht inspirierte sogar Udo Lindenberg am „Tatort“ Schlagzeug?) – Die Tatort-Signation war damals auch schon über 10 Jahre alt!
Silver Rainbow
Hier freut sich der Genesis-Fan wieder! Die Hits und der Kommerz sind vorbei. Tony Banks begeistert durch Emulator Experimente. Ein versponnener Text (im Stile Alice im Wonderland)- das unvermeidliche Simmons Electronic Drumkit und das CP Klavier. Und ein spektakulärer Irrweg durch Tonarten zum Refrain. Es klingt (heute) natürlich penetrant nach 80er Jahre Schlagzeug, war damals aber wirklich neu und innovativ! Und es lohnt, sich Mike Rutherford genau im Fadeout zuzuhören!
It’s gonna get better
Wenn es einen geheimen Höhepunkt gibt, dann kommt er zum Schluß! Es klingt sehr nach Tony Banks (Obwohl hier bei jedem Song immer alle 3 als Autoren aufscheinen) – mit dem Emulator wurde ein klassisches Stück verfremdet und verkehrt abgespielt – dann setzt das Schlagzeug und ein mächtiger Synthbass ein. Ich glaube, dass Mike Rutherford Bassgitarre spielt aber ein Moog damit getriggert wurde. Das Bassthema alleine ist schon großartig. Dann blendet langsam ein sehr breiter Akkord ein, mit dem man hier nicht melodisch wirklich rechnet. Der Mama – Melodiesound schließt den Kreis des Albums und spielt eine gegenläufige Melodie zum Bass. Dann trifft sich der Vokaleinsatz mit unglaublich vielen Banks-Akkorden rund um das gleichbleibende Bassthema. Dann erklingt sogar ein Fender Rhodes (!) – selten aber immer wieder dezent auf Genesis Studioproduktionen verwendet. Reach out – Hands in the air, don’t care!
Scritti Politti (wer sich noch erinnert!) klang in den 80ern an dieser Stelle genauso – würde mich wundern wenn Sie (eigentlich nur Green Gartside) nicht auch von dieser Platte abgekupfert hätten.
Dann kommt wieder das mystische Reverse-Streicher Intro, der breite Orgelakkord und der Bass tut so als weiß er nicht wohin, um in Wahrheit in den „It‘s gonna get better“ Teil zu führen. Wenn Mama depressiv machte, dann ist das jetzt das Antidepressivum! – Das Collins Falsett bremst vielleicht etwas den Effekt, aber wenn es mit diesem wunderbaren Klavier an dieser Stelle nicht better wird, dann weiß ich auch nicht!
It’s time for Change! – mit diesen Worten verlässt uns der Sänger Phil Collins auf der Platte. Der Schlagzeuger Collins hat auf einmal einen fetten Hall auf der Snare. Tony Banks spielt Chorusklavier – und die Reverse-Streicher kommen wieder um mit dem Rest langsam auszublenden.
Es ist für mich eines der wenigen Genesis „Play-along“ Stücke auf dem YAMAHA CP-80 und oft habe ich mich dabei ertappt D und emoll7 (über D) ewig weiter gespielt zu haben. Es ist einfach ein wunderbares Ende einer für mich sehr prägenden Platte!